11.12.2011

Songzhuang - Pekings neues Künstlerviertel?

Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, einen befreundeten chinesischen Künstler bei sich zu Hause in Songzhuang zu besuchen. Chen Guangwu, ein Künstler und Kalligraf, der den Verlust der eigenen Kultur beklagt und in seiner Kunst einen eigenen Zugang zu den kulturellen Wurzeln sucht, führte mich durch den Ort vor den Toren Pekings.
Östlich der Pekinger Innenstadt, im Regierungsbezirk Tongzhou 通州 entsteht in Songzhuang 宋庄 gerade ein neues Künstlerviertel. Wie mir Chen Guangwu erzählte, haben sich dort schon mehrere hundert chinesische und ausländische Künstler zusammengefunden. Eine Entwicklung, die er mit Unbehagen beobachtet, führt sie doch wohl zur unweigerlichen Kommerzialisierung des Ortes. Denn der Kunst folgt gewöhnlich schnell das Geld. In China gilt moderne Kunst seit einiger Zeit als geeignetes Anlageobjekt für freies Kapital. Als er vor mehreren Jahren mit seiner Familie und ein paar wenigen anderen Künstlern nach Songzhuang zog, um dem Kommerz der Hauptstadt zu entkommen, war der Ort bei Ausländern noch gänzlich unbekannt.

Die meist jungen Künstler, die hierher gekommen sind, fristen ein Nischendasein, mit mal mehr, mal weniger guten Kopien von bekannten Werken europäischer Künstler oder Bilder, welche den Massengeschmack in China befriedigen. Jedoch fällt der Blick in den Reihen am Straßenrand aufgestellter Bilder hier und da auch auf solche, welche auf eine weitere Entwicklung des Künstlers hoffen lassen.

Wenige Straßenzüge weiter entsteht gerade eine Luxusenklave für Gutbetuchte, mit dem viel sagenden Namen "Kunstareal Landesverteidigung". Kunst als Verteidigung gegen in- und ausländische Feinde? Tatsächlich ist der Name jedoch eine Anspielung auf die frühere Nutzung des Ortes. Während der Kulturrevolution baute Maos Verteidigungsminister Lin Biao hier eine Reihe von Bunkern, die heute als Weinkeller genutzt werden. Die Gebäude im neo-traditionellen Stil, in Anlehnung an die kaum noch existente Pekinger Altstadt, werden bald dem Personenkreis Wohnraum bieten, der sich gerne mit dem Glanz moderner Künstler umgibt.

Es bleibt zu hoffen, dass Songzhuang die Entwicklung von "798" erspart bleibt, welches inzwischen zum Postkartenmotiv verkommen, gänzlich dem Kommerz anheimgefallen ist. Das ehemals alternative Galerieviertel "798" ist nun Touristenattraktion und Flaniermeile für die Schönen und Reichen und hat die kreativen Köpfe, welche das Viertel einst berühmt machten, längst verdrängt. Eine Entwicklung, welche Berliner in Prenzlauer Berg und Friedrichshain nur allzu gut kennen. Es lohnt sich, Songzhuang zu besuchen, solange es noch ein wenig von seinem Charme des Urwüchsigen und Unangepassten besitzt.
Von Pekings Innenstadt gelangt man am leichtesten nach Songzhuang, in dem man mit der U-Bahn Linie 1 nach Sihui Dong 四惠东 fährt, dort in die Batong Line 八通线 wechselt und bis Tongzhou Beiyuan 通州北苑 fährt. Von dort aus nimmt man ein Taxi nach Songzhuang in den Xusonglu 徐宋路 zur 宋庄艺术工厂区路.

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