04.04.2016

Das Qingming Fest



Am 04. April dieses Jahres wird in China das Qingming Fest 清明节 begangen. Es  wird dem chinesischen traditionellen chinesischen Kalender folgende an dem Tag gefeiert, an dem die Sonne bei 15° steht, also 106 Tage nach dem Frühlingsfest. Damit beginnt ebenfalls die Qingming-Phase, die an dem Tag endet, wenn die Sonne bei 30° steht.

Qingming ist neben dem Frühlingsfest 春节, dem Drachenbootfest 端午节 und dem Mitherbstfest中秋节 das wichtigste traditionelle Fest im heutigen China und seit 2008 ein offizieller gesetzlicher Feiertag.
Dem Brauchtum folgend ist es der Tag des Saomu (扫墓) der Grabpflege [wörtl.: Gräber fegen], und entsprich demnach in etwa den hiesigen Allerheiligen oder Allerseelen.
 
Chong'er
Sowohl der Name als auch das Brauchtum des Festes erschließen sich aus einer antiken Sage um Chong’er 重耳 (697-628 v.u.Z.), den Herrscher Wen des Staates Jin (Jin Wen Gong 晋文公), der in der Zeit der streitenden Reiche 770-476 v.u.Z. im chinesischen Altertum lebte. 
Als Wen durch einen Staatsstreich einer Konkubine seines Großvaters seines Anspruchs auf den Thron beraubt worden war, floh er mit seinem Gefolge ins Exil. Die Flucht war so fordernd, dass Wen bald vor Hunger dem Tode nahe war. Sie kamen sie in ein Gebiet, in dem auch nach Tagen nichts Essbares zu finden war. 
In der Not schnitt sich einer seiner Begleiter,
Statue des Jie Zitui
Jie Zitui
介子推, ein Stück Fleisch aus der Wade und kochte daraus eine Suppe für seinen Herrn, der durch die Kost schnell wieder genesen war. Als Wen erkannte welches Opfer Jie Zitui geleistet hatte, weinte er vor Rührung. Jies einziger Wunsch war es, dass Chong’er, da er jetzt die Entbehrungen der Armen kenne, später ein mildtätiger Herrscher sein möge. 
Nachdem Chong’er viele Jahre später den Thron von Jin zurückerobert hatte, bedachte er die Mitglieder seines Gefolges mit vielen Ehrungen und Würden, einzig Jie Zitui vergaß er. Die Freunde Jies waren darüber sehr erzürnt und drängten Jie dazu, darüber beim Herrscher vorstellig zu werden. Jie aber weigerte sich und zog mit seiner Mutter in die Einsamkeit auf den schwer zugänglichen Mianshan (绵山) Berg, in der heutigen Provinz Shanxi 山西省 gelegen. 
Der zutiefst beschämte Chong’er, der seiner schweren Nachlässigkeit gewahr geworden war, bat Jie um eine Unterredung. Doch Jie weigerte sich. Er wolle keine Ehrung. Die Berater des Herrschers rieten ihm, den Wald auf dem Berg abzubrennen, um Jie vom Berg zu zwingen. Doch Jie stieg nicht herab. 
Nach dem Erlöschen des Feuers fanden Chong’er und seine Begleiter den Leichnam Jies und seiner Mutter unter einer abgebrannten Weide. In einem Astloch entdeckten sie einen mit Blut geschriebenen Brief Jies, in dem er als treuer Diener seines Herrn einzig darum bat, Chong’er möge sich seiner erinnern und ihn im Herzen tragen und dadurch stets klar (qing) und hell (ming) in seiner Regierung sein. Chong'er trug den Brief zeitlebens bei sich, um sich an die Mahnung Jie Zituis zu erinnern. Auf dem Mianshan Berg wurde zu Ehren Jie Zituis ein Tempel errichtet, in dem eine überlebensgroße Statue Jie darstellt (siehe Bild), ein beliebtes Ausflugsziel. 
Ein Jahr darauf, zum chinesischen Hanshi Fest stieg Chong’er erneut auf den Berg um zu entdecken, dass die niedergebrannte Weide wieder nachgewachsen war und Blätter trug. Er benannte sie als klare und helle Weide. Nach seiner Rückkehr in den Palast bestimmt er sofort, der Tag nach dem Hanshi Fest solle ab sofort jährlich als das Klar-und-Hell-Fest begangen werden. In den folgenden Jahrhunderten wurde es zur Tradition, an diesem Tag der Vorfahren zu gedenken.

Bildquellen: 
- http://www.pcauto.com.cn/qcbj/sy/csh/1203/1878435.html 
- http://wap.kaiwind.com/culture/201506/06/t20150606_2556994.shtml
- http://travel.163.com/13/0617/13/91IUI19000063KE8_all.html

06.07.2015

In den Gassen von Suzhou - Lu Wenfu

Am Donnerstag jährt sich zum zehnten Mal der Todestag des chinesischen Schriftstellers Lu Wenfu 陆文夫 (23.03.1928 – 09.07.2005), dessen bekanntestes Werk »Der Gourmet« ich in meinem allerersten Post auf diesem Blog über die chinesische Esskultur erwähnte. 

So nutze ich diesen Jahrestag für einen kurzen Blick auf sein literarisches Œuvre, das die gesellschaftlichen Auswirkungen der drei entscheidendsten Epochen der jüngsten Geschichte Chinas in sich vereint, die kommunistische Revolution, die maoistische Phase und den Beginn der Öffnungs- und Reformperiode. Als einer der klassischen Autoren der Moderne war er noch nicht geprägt und beeinflusst von der Fülle an dogmatischer und ideologisierender Literatur der frühen Volksrepublik. 

Vielleicht auch deswegen zeichnen sich Lus Protagonisten - im Gegensatz zu den schemenhaften und oft lebensfern wirkenden Charakteren in der politisch ambitionierten Belletristik der jungen Volksrepublik - durch ein besonderes Maß an menschlicher Realität aus. Sie wirken wie wirkliche Menschen mit allen positiven und negativen Seiten. Ein klares Gut oder Böse, als Licht- und Schattenseiten, findet man selten in seinen Geschichten, eher ein Schattenspiel von Ambitionen und Unfähigkeiten.  

Fast die Gesamtheit seiner Romane und Kurzgeschichte spielt in seiner Wahlheimatstadt Suzhou 苏州 im mittleren Osten Chinas in der Nähe Shanghais gelegen. Suzhou ist eine besonders kulturreiche Stadt, die sich trotz zahlreicher Bausünden des 20. Jahrhunderts ihren Charme mit der Vielzahl an Kanälen und antiken Gebäuden der Altstadt bewahren konnte. Gemeinsam mit der weiter südlich gelegenen Stadt Hangzhou 杭州 wurde sie einst in einem chinesischen Sprichwort ob ihrer Schönheit als Paradies auf Erden gepriesen.

Ihre Traditions- und Geschichtsgeladenheit, genau wie ihre Küche in China weithin bekannt, bietet Lus Geschichten das richtige Ambiente. Suzhou, mit der architektonischen Mischung aus Alt und Neu ist Sinnbild für den Zwiestreit zwischen althergebrachten Traditionen und den Bestrebungen der Modernisierer, dessen sich seine Geschichten oft widmen

Eines von Lus Haupttopoi ist das vehementen Festhalten an alten Gewohnheiten, das seine Charaktere im Besonderen prägt. Er sinniert über die menschliche Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit, alte, früh erlernte Angewohnheiten und Ansichten abzuschütteln. Seine Erzählungen sind sowohl Geschichtsberichte als auch Prognosen. Sie sind, wenn man so will, eine unterschwellige Kritik an dem kühnen doch letztendlich erfolglosen Unterfangen des maoistischen Kommunismus, die Seele eines gesamten Volkes von alten Vorstellungen zu reinigen, welches letztlich in den Exzessen der Kulturrevolution gipfelte. Lu ist dem Experiment der intellektuellen Erneuerung nicht grundsätzlich abgeneigt, erkennt aber deutlich dessen Begrenzung, die in der Behäbigkeit und Unfähigkeit des Menschen liegt, sich selbst von Grund auf zu ändern. Zwar schwingt in seinen Worten die Erkenntnis der Unabwendbarkeit des Wandels mit, doch sind sie gleichzeitig geprägt von der Sorge, mit den Erinnerungen das einzig Stabile im Leben zu verlieren. Denn was ist der Mensch anderes als ein Produkt seiner Erfahrungen?

Und so sind die breiten Kanäle und schmalen Gassen von Suzhou, mit seinen Restaurants und Garküchen, den Straßenhändlern, seinen Tempeln und Parks ein Sinnbild für die ausgetretenen Pfade der Gesellschaft, die auch mit dem scharfen Rechen der Revolution nicht hinfortgekämmt werden können, die alten Ansichten, die wie ein dunkler Fleck an der Wand auch durch die zehnte Schicht an Farbe hindurch wieder zum Vorschein kommen. Lu sieht dies nicht als Makel, sondern als inhärenten Teil des Menschseins und seine Geschichten stellen den Versuch dar, sich damit auszusöhnen.Zudem bieten sie in ihrer milden Ironie einen lehrreichen wie unterhaltsamen Blick auf die jüngere chinesische Geschichte.

Bedauerlicherweise ist bisher nur eines seiner Werke auf Deutsch erschienen, das jedoch besonders Lesenswert ist:
Der Gourmet: Leben und Leidenschaft eines chinesischen Feinschmeckers [in einer Übersetzung von Ulrich Kautz] Zürich: Diogenes, 1993

Bild: http://www.baike.com/wiki/陆文夫

01.10.2014

Ein Tag, ein Bild und seine Geschichte. Die Gründung der VR China.

Dieser Tage hört man viel aus China, positives und negatives, von Helden und Unterdrückern, die, je nach Standpunkt, vertauschte Rollen erhalten. Und der heutige Tag ist damit in besonderer und bildhafter Weise verbunden.

1. Tor der Himmlischen Friedens in Peking
Heute vor 65 Jah­ren, am 1. Okto­ber 1949, stand der Revo­lutions­­führer und große Vor­­sitzende Mao Zedong (auch Mao Tse-tung) 毛泽东 (1893-1976) auf dem Bal­kon des Tors des himm­lischen Frie­dens Tian'anmen 天安门 der ver­botenen Stadt, dem ehe­maligen Kaiser­­­pa­last in der chinesische Haupt­­­stadt Peking, und sprach zu einer großen Menschen­­­menge auf dem Platz zu seinen Füßen.

2. Mao Tse-tung (Mitte) ruft die Volksrepublik China aus.
An diesem Tag erklärte er mit viel Emphase nach dem Abzug der japan­ischen Besatzer und dem gewon­­nenen Bürger­­­krieg gegen die Truppen der chine­sischen Volks­­­partei Guomindang 国民党 (welche sich mit ihrem Führer Jiang Kai-shek nach Taiwan zurückgezogen hatten) die Grün­dung der Volks­republik China. Hinter ihm scharten sich die damaligen Größen der kom­mu­n­is­tischen Partei und andere ver­­diente Persön­lichkeiten des neuen China, Xinhua 新华, wie die VR in China auch gerne genannt wird.

3. Gründung der VR China von Dong Xiwen
1953 verewigte der chinesische Maler und Kunstprofessor Dong Xiwen 董希文 (1914-1973) diese Szene in einem, dem Ereig­nis angemes­senen Pathos in seinem Ölge­mälde Kaiguo Dadian 开国大典 (Gründungs­­zeremoniell der Nation). Das Bild ist aus einen Stand­punkt von Nord­westen gemalt und blickt gen Süd­osten. Mao wird dabei eine hervor­gehobene Position einge­räumt, entsprechend seines Status in Staat und Partei zu dieser Zeit, die er während der tatsäch­lichen Zeremonie, wie auf obigem Foto erkennt­lich, gar nicht hatte.
 
4. Veränderte Version ohne Gao Gang
Jedoch nur ein Jahr später bereits befahl die Partei­führung dem Künstler den kurz zuvor in Un­gnade gefal­­lenen Führungs­­kader Gao Gang aus seinem Bild zu ent­fernen, um ihn gänz­lich aus dem allge­meinen Gedäch­tnis zu streichen und die Partei von seiner Schande zu reinigen. Das rote Oval in der rechten Abbild­­ung zeigt die Stelle, an der Gao Gang vorher stand. Nun ist an dieser Stelle der Oleander­­­kübel zu sehen, der vorher teil­weise verdeckt war. 

Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Dong sein Bild umarbeiten musste.

5. Veränderte Version ohne Liu Shaoqi und mit Dong Biwu
Später, auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution, befahl man Dong den abge­setzten und aus der Partei ausge­schlos­senen ehemaligen Staats­präsidenten Liu Shaoqi 刘少奇 aus seinem Bild zu entfernen. Auch Liu sollte aus dem Gedächtnis der Menschen gelöscht werden, als Kontra­­revolutionär, der den kapital­­istischen Weg gegangen sei und die Partei verun­­reinigt habe. Das Rote Oval in der linken Abbil­d­ung zeigt die Stelle, an der Liu Shaoqi durch seinen Nach­­folger als Staats­präsident Dong Biwu 董必武 ersetzt wurde.

6. Linke Version mit Lin Boqu, rechte ersetzt durch Mitlgied der VBA
1972 sollte sodann Lin Boqu aus dem Bild entfernt werden, der angeb­lich die Ehe­­schließung Maos mit seiner vierten Frau Jiang Qing (Mitglied der sog. Vierer­bande) kriti­siert hatte. Dong Xiwen, der 1973 starb, war zu diesem Zeit­punkt aber bereits so schwer erkrankt, dass er nicht mehr in der Lage war, sein Bild selbst umzu­­­arbeiten, so dass zwei Schüler des Malers damit beauftragt wurden. Diese ent­schieden sich aber auf­grund des Zustands des Bildes, keine weiteren Veränder­­­ungen vorzu­­­nehmen und fertigten unter Anleit­­ung Dongs eine Kopie des Bildes an, in der Liu Boqu durch ein Mit­glied der Volks­befreiungs­armee (VBA) ersetzt wurde.

7. Finale Version von 1979
1979, nach dem Ende der Kulturre­volution und der Absetzung der Vier­er­­bande wur­den die Ver­femten rehabi­litiert. Sie waren, so die neue Partei­linie, ja eigent­lich immer integre Männer gewesen und nur Opfer zwie­lichtiger Machen­­schaften partei­­schädlicher Elemente, wie der Clique um Maos Frau. Und so wollte man, dass die drei wieder ihren Platz in der Ge­schichte ein­nehmen. Daher wurden beschlos­sen, die drei wieder in das Bild zu integrieren.

https://picasaweb.google.com/110534705729011664696/Beijing2010
8. Chinesisches Nationalmuseum 2010
Zwei Ver­sionen des Bildes wurden in der Inneren Kammer des chi­nesischen National­­museums zu dessen Eröffnung, an der Ost­seite des Platzes ausgestellt, an dessen Kopf­seite Mao 1949 die Volks­republik ausgerufen hatte. Ein unge­wöhnlich offen­herziges Bekennt­nis zur eigenen Geschichte.

9. Version von Yue Minjun 2002
2002 lieferte der chinesische Künstler Yue Minjun 岳敏君, bekannt für seine breit grinsenden und zähne­zeigende Menschen, eine ironische Version des Bildes, in dem er das Bild nachempfand und schlicht alle Per­sonen auf dem Balkon des Tors des himmlischen Friedens entfernte. Einzig die Blumen­­kübel stehen noch dort. Deu­tungen gäbe es genug, dass die Per­sonen bei solchen offi­ziellen Anlässen so aus­tausch­bar sind wie Blumen­­kübel, ein sar­kastischer Seiten­­hieb auf den geschicht­lichen Revisionis­mus der kom­mun­istischen Partei Chinas, zu dieser Zeit, oder, dass die VR China so oder so gekommen wäre, egal, wer damals dort oben gestanden hätte.

Geschichtlicher Revisionismus ist nicht neu und in vielen künstlerischen Werken wurde die Geschichte verfälscht, meist, damit die Auftraggeber der Kunstwerke in ein besseres Licht gerückt werden. Aber der besondere Wert des Gemäldes von Dong Xiwen liegt in der Anschaulichkeit, in der die unterschiedlichen Versionen verdeutlichen, wie manipulativ Medien wirken können, wie leicht es sein kann, Geschichte nachträglich zu verändern.

Unabhängig vom kulturellen oder historischen Hintergrund ist es eine Mahnung, Fakten, die uns sicher erscheinen, Feindbilder, mit denen wir aufwachsen und Ansichten, die wie für selbstverständlich nehmen, zu hinterfragen, gerade in Tagen wie diesen, in denen Wahrheit sehr relativ ist.

Bildquellen:

1. und. 8. C. Ruppin  (https://plus.google.com/photos/110534705729011664696/albums/5543083199196784513?banner=pwa)

2. http://politics.people.com.cn/GB/8198/70654/70659/4794877.html

3. http://cafa.cuepa.cn/show_more.php?tkey=&bkey=&doc_id=439554

4., 5. und 7. http://history.people.com.cn/GB/205396/15260678.html

6. http://blog.artron.net/space-379330-do-blog-id-1107646.html

9. http://artist.artxun.com/15442-yueminjun/zuopin/142325.html