13.01.2009

Von der Kunst des Essens

Wer sich der chinesischen Kultur nähern möchte, fängt am besten mit dem Essen an, denn es ist der Weg auf dem die Chinesen selbst ihre Kultur erfahren. Das wird schon an dem chinesischen Wort chi 吃 [essen] deutlich, welches unter anderem „verstehen“ und eine „Erfahrung machen“ bedeutet. Man isst um zu verstehen.

Abb.: "Der Gourmet von Lu Wenfu" (chinesische Originalausgabe)

Li Bo bezeichnet die chinesische Kulturnation China auch als kouqiang minzu 口腔民族 [orale Nation]. Man isst und man spricht darüber.

Das Essen wird zu einem künstlerischer Akt, wenn es nicht an die Notwendigkeit der schlichten Ernährung gebunden ist. So wundert es nicht, dass das Essen in der Kunst Chinas einen festen Platz besitzt. Viele der großen Philosophen, Schriftsteller und Künstler Chinas nannten sich selbst gerne meishijia 美食家, was soviel wie Gourmet bedeutet.

Es ist aber mehr als dass, denn der meishijia isst nicht um gut zu essen, sondern um die Welt zu erkennen. Über ein umfangreiches Wissen um die Köstlichkeiten der Welt, damals China, zu besitzen, galt als Pflicht für einen gebildeten Menschen.

Viele Künstler und Schriftsteller Chinas widmeten sich in einigen ihrer Werke dem Essen in fast liebevoller Weise, aber immer in einer respektvollen Distanz. Und genau das unterschied sie vom einfachen Mann, der aß um zu leben. Der meishijia lebte um zu essen. Dabei darf man diesen aber nicht mit dem tanshizhe 贪食者 [Gourmand] verwechseln, dem die Menge des Essens wichtiger ist, als die Qualität.

Verständlicherweise bekam der Begriff meishijia in der puritanischen Gedankenwelt der Kommunisten schnell eine negative Konnotation, das Buch „Meishijia“ von Lu Wenfu ist ein beredtes Beispiel, die er aber in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht verdient hat.

Der wahre meishijia nähert sich dem Essen in wissenschaftlicher und künstlerischer Weise und bringt sein Erfahrungen darüber zu Papier, um die Nachwelt an seinem Wissen teilhaben zu lassen, oft mit einem angemessenen Maß an Selbstironie.

In der klassischen Gesellschaft Chinas genoss ein meishjia hohes Ansehen. Er schämte sich nicht gut zu essen, wobei Maßhalten für ihn eine hohe Tugend war. Nicht die Menge und der Preis der Speisen waren entscheidend, sondern die Güte der Zubereitung.

Heute haftet dem meishijia eine gewisse Dekadenz an, denn nur die Oberschicht verfügte über genug Zeit und Ressourcen, sich den Wundern der chinesischen Küche zu widmen. Ein Beispiel für besonders dekadente Essgewohnheiten ist die Kaiseren Witwe Cixi 慈禧, der nachgesagt wird, sie habe sich jeden Tag bis zu 150 Gerichte servieren lassen, nur um daran zu kosten und zu riechen.

Das Wort meishi 美食 [Köstlichkeiten, Delikatessen], von dem sich der meishijia ableitet, ist im China von heute zu einem alltäglichen Begriff geworden und so finden sich eine meishijie 美食街 [Straße der Köstlichkeiten] (s. Bild) an jeder Ecke und verdeutlicht das Bedürfnis der Chinesen nach gutem Essen.

Die inflationäre Verwendung des Begriffes in den letzte Jahren, man findet sie heute in Bahnhofshallen, Kaufhauskantinen und der gleichen, führte jedoch dazu, dass die „Straße der Köstlichkeiten“ inzwischen eher die Bedeutung eines billigen Schnellimbisses besitzt.


Dies ist nur eine der unzähligen Ebenen des Essens in der chinesischen Kultur, von denen ich im Weiteren noch berichten möchte.

Guten Appetit!

1 Kommentar:

  1. Oh wow! Ich liebe China und ich liebe das Essen dort! Dein Blog ist daher perfekt für mich! ;-)
    Bin schon als regelmäßige Leserin eingetragen.
    Schöne Grüße
    Christina

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